Dienstag, 27. März 2018

Zerstörung in gutem Glauben - ländliche Kirchen in Südserbien

An einem trüben Nachmittag im Juli 2014 war ein Team des RGZM im Rahmen des Forschungsprojektes mit serbischen Kollegen unterwegs, die Siedlungslandschaft in Spätantike und Frühmittelalter im das Umland der frühbyzantinischen Stadt Caričin Grad/ Iustiniana Prima zu erkunden. Als kleinen Abstecher führten uns die serbischen Kollegen zu der kleinen Kirche Sv. Pantelejmon in Gazdare. Sie ist in keinem Reiseführer verzeichnet, sie ist unscheinbar und doch ein Bau, der die Geschichte der Region in einzigartiger Weise spiegelt - spiegelte sollte man heute sagen, denn an Weihnachten 2017/18 wurde der Bau abgerissen. Auch damit spiegelt er Geschichte, denn der Abbruch hängt auch mit der aktuellen politischen Situation rund um den nahen Kosovo zusammen.

Gazdare, Sv. Pantelejmon im Juli 2014
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

 

Gelebter Glaube


Als wir uns an jenem Nachmittag 2014 der Kirche nähern, lag unser eigentliches Ziel etwas weiter talaufwärts in Lece, wo es Nachrichten über römischen Bergbau gibt (die wir in zwei Kampagnen 2016 und 2017 mit Kollegen vom Deutschen Bergbaumuseum verifizieren konnten - siehe Archaeologik). Die serbischen Kollegen empfehlen jedoch einen Zwischenstop und führen uns zu einem niedrigen aus Bruchsteinen gemauerten Bau nur wenige Meter neben der Straße. Was wir zunächst für einen Schuppen halten, erweist sich als eben jene Kirche Sv. Pantelejmon.

Gazdare, Sv. Pantelejmon
Zwei Jahre nach der ersten Besichtigung
(Foto: RGZM, November 2016)
Die Tür ist aus den Angeln gebrochen. Sie liegt links neben dem Eingang, die Farbe abgeplatzt und verwittert. Beim Betreten der Kirche wird der Schritt unsicher. Drinnen ist es dunkel und es geht über eine Schwelle ein, zwei ausgetretene und schiefe Stufen nach unten. Die Augen gewöhnen sich rasch an das Dämmerlicht, denn es ist keine völlige Dunkelheit. Da brennen zwei Kerzen auf einem Ständer neben dem Altar und etwas Sonnenlicht dringt durch den nur mit Hölzern verkleideten Giebel über der Tür. Details werden erkennbar. Nur im rückwärtigen Bereich ist der Boden mit Backsteinen belegt, nach links ist er abgesackt. Vorne, dort, wo wir nun stehen, gibt es nur einen unebenen Lehmboden. Vor dem mit einer weißen Tischdecke geschmückten Altar deutet ein Querbalken eine Abtrennung des Altarraumes an. Am Balken hängen vier Ikonen, daneben Tisch- und Handtücher. Auch sonst ist der Raum voll mit Gegenständen: Weitere Tücher und Taschen sind in kleine Nischen links und rechts der Apsis gestopft. Auf dem Altar frische Blumen, aber auch kleine Heiligenbilder, Münzen, Geldscheine und ein altes Plastik-Colafläschchen mit Rakija, auf dem Boden eine Flasche mit Öl. An der Seite steht eine grob zusammen gezimmerte Bank, und mitten im Raum liegen einige, offenbar auch als Sitzgelegenheit genutzte Steinblöcke. Besen und Putzeimer stehen direkt neben der Tür. Dieser Raum wird genutzt, er steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu den sauberen, aufgeräumten, fast schon sterilen Kirchenräumen, wie man das aus Deutschland vielleicht gewohnt ist. Hier sieht man Spuren lebendigen Glaubens.

Gazdare, Sv. Pantelejmon, der Kircheninnenraum im Mai 2017
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

Gazdare, Sv. Pantelejmon, byzantinisches Kapitell als Altar,
Juli 2014
(Foto: R. Schreg/ RGZM)
Ein genauerer Blick zeigt, dass der Altar aus einem antiken byzantinischen Kapitell besteht, in der linken Wand ist ein Grabstein mit einer kyrillischen Inschrift verbaut. Die Kirche, ein einfacher Rechtecksaal mit halbrunder, außen unkenntlich rechteckig abgemauerter Apsis, ist aus zahlreichen Bruchsteinen und Spolien trocken aufgemauert. Die unregelmäßige Bauweise macht es schwer, einzelne Bauphasen zu differenzieren, doch zeigt sich im unteren Teil der Wand ein Mauerwerk aus größeren Steinen als an ihrem oberen Abschluß. Beim untersten Teil des Mauerwerks, der sich besonders unregelmäßig darstellt, handelt es sich um den Fundamentbereich. Einst war das Gelände um die Kirche herum etwa 0,4m höher, so dass der Bau noch flacher wirkte und deutlich in den umgebenden Boden eingetieft war.
Nach Aussagen von Anwohnern ist der Bau nicht besonders alt, sondern erst nach dem 2. Weltkrieg gebaut worden. Dass dies nur ein Teil der Geschichte ist, wird mit Blick auf die Spolien deutlich. Der Kirchenbau geht viel mehr auf das Mittelalter zurück, was durch archäologische Ausgrabungen in den 1980er Jahren und erneut 2002 deutlich wurde. Bei letzteren Grabungen - auf die die Geländeabsenkung im Außenbereich zurückgeht -  wurden in der direkten Umgebung der Kirche 81 Gräber lokalisiert. Eine Münze des adligen Münzherrn Jakov (c.1380-c.1395) bestätigt eine ältere Bauphase des 14. Jahrhunderts. Bei der genannten Inschrift, die in der Kirche sekundär vermauert wurde, handelt es sich pikanterweise gerade um die Bauinschrift des mittelalterlichen Vorgängerbaus (wenn man nicht unwahrscheinlicherweise eine Verschleppung von einer anderen Kirche annehmen möchte). Die bereits 1988 publizierte und in der Kirche ehedem sichtbare Inschrift aus der zweiten Hälfte des 15. oder dem Anfang des 16. Jahrhunderts nennt den Priester Luka, Bruder des Radivoj Ratkov, die die Kirche erbaut oder renoviert haben.

Gazdare, Sv. Pantelejmon, Inschrift des 15. Jh. als Spolie in der Nordwand,
Juli 2014
(Foto: R. Schreg/ RGZM)
Der bestehende Bau ist nach Literaturlage im späten 19. Jahrhundert entstanden (Ercegović-Pavlović/ Kostić 1988), baute wahrscheinlich, wie viele andere Kirchen der Region auf älteren Fundamenten auf. Bei den Grabungen der 1980er Jahre wurde südwestlich außerhalb der Kirche eine Mauerecke dokumentiert. Luftbilder einer von uns veranlassten Drohnenbefliegung zeigen nach dem Abbruch der Kirche östlich von ihr einen Mauerzug (?), zeigen aber keine Reste dieser Mauerecke. Noch ist die Grabungsdokumentation von 2002 nicht gesichtet, um abzuklären, ob auch damals neben den Bestattungen noch weitere Baureste zu tage kamen.
Der abgesenkte Fußboden der Kirche dürfte charakteristisch sein für Kirchenbauten aus osmanischer Zeit. Bau und Unterhalt nicht-islamischer Sakralgebäude waren unter osmanischem Recht zwar untersagt und die öffentliche Religionsausübung eingeschränkt, eine diskrete Religionsausübung im Privaten wurde aber durchaus toleriert. Kirchen aus dieser Zeit geben sich nur schwer zu erkennen und möglicherweise liegt hier auch die Begründung für die häufigen in den Boden eingetieften, niedrigen Kirchenbauten.

Der Besuch dieser Kirche hat tiefen Eindruck gemacht - wegen der so alltäglich-selbstverständlichen Religionsausübung wie auch der zahlreichen historischen Befunde in dem unscheinbaren Bau. Er hat uns die Bedeutung dieser kleinen unscheinbaren Kirchen für unsere Forschungsfragen nach der Siedlungsgeschichte von der Antike bis in die Neuzeit hinein vor Augen geführt.

Eine Demonstration der Stärke des christlichen Glaubens


Gazdare, Sv. Pantelejmon im Januar 2018
(Foto: RGZM)
Am serbischen Weihnachtsfest im Januar 2018 wurde die Kirche in Gazdare abgerissen. Dahinter steht ein Sohn der Gemeinde, der als Architekt in Wien Karriere gemacht hat und nun in seiner Heimat einen neuen Kirchenbau stiftet. Unterstützung erhält er von der Gemeinde und vom Bürgermeister der zuständigen Kommunalverwaltung in Medveđa, der erklärt, dass es darum gehe, den Albanern (= die Muslime im benachbarten Kosovo) die Stärke des eigenen christlichen Glaubens zu zeigen. 
Vermutlich ist das allerdings nicht das wesentliche Motiv, denn prinzipiell hätte eine renovierte alte Kirche ja weit mehr politische Symbolkraft, zumal serbische Politiker ja ihrerseits die Zerstörung von historischen Kirchen im Kosovo brandmarken.  In der Wahrnehmung der Bevölkerung geht es wohl eher um Selbstdarstellung des Stifters und um das Prestige der Gemeinde, das sich an einem Neubau misst. Das war wahrscheinlich in der Vergangenheit nicht anders, wie nicht zuletzt ja auch die Bauinschrift aus dem 15. Jahrhundert aus Gazdare bezeugt. Für die Gemeindemitglieder handelt es sich ja auch nicht um eine Zerstörung, sondern um eine Verschönerung und Vergrößerung. Letztlich fehlt es an einem Verständnis des historischen Werts der Bauten und an Sensibilität bei der Restaurierung.

Der örtliche Priester war vom Abbruch zunächst gar nicht informiert, konnte aber einen ersten Abbruchversuch im Frühjahr 2017 noch durch persönliches Einschreiten vor dem Bagger verhindern. Er nahm auch Kontakt zu den Kollegen des Archäologischen Instituts in Belgrad auf, die in der Region im Umfeld von Caričin Grad seit Jahren aktiv sind. Damit wurde dann auch die zuständige Denkmalpflege informiert, die den bestehenden Bau allerdings unter Verweis auf die Auskunft der Anwohner und wegen der architektonisch wenig elaborierten Bausubstanz ebenfalls nicht als schützenswertes Monument einschätzte und ihn letztlich unter der Auflage der Separierung der Spolien und einer nachfolgenden ergänzenden Grabung zum Abbruch frei gab.

Gazdare, Sv. Pantelejmon im Januar 2018
(Foto: RGZM)


Gazdare, Sv. Pantelejmon im Januar 2018
Der ehemalige Altar aus Kapitell und Säulentrommel,
dahinter in den Trümmern die mittelalterliche Bauinschrift.
(Foto: RGZM)
Inzwischen ist die Kirche zerstört, die Spolien liegen auf der Baustelle, darunter auch weitere Reliefs, die im stehenden Bau nicht sichtbar waren. Wir wissen derzeit nicht, ob ihre Position beim Abbruch dokumentiert worden ist. Archäologische Arbeiten sollen allerdings noch durchgeführt werden. Ob nach dem Maschineneinsatz noch ungestörte Befunde übrig sind, scheint fraglich; Fragen zur Baugeschichte können nicht mehr geklärt werden.

Zwischen Verehrung und Verfall

An fast allen kleinen Kirchen der Region finden sich Spuren aktiver Religionspraxis. Auf Mauervorsprüngen, vor allem aber auf dem Altar oder in der Apsis werden Münzen und Kerzen geopfert, finden sich Ikonen, mehr oder weniger frische Blumen, aber auch Keramikgefäße und gebrauchte Flaschen mit Rakija. Bisweilen werden dafür extra kleine Schreine aufgestellt.

Münzopfer  in einer Kirchenruine nahe Caričin Grad
(Foto: R. Schreg/RGZM 2016)
Die Kirchen, so verfallen sie auch sein mögen, sind aktiv in das religiöse Leben des Volksglaubens eingebunden. Im Falle einer Kirche bei Svinjarica haben die Dorfbewohner in den 1930er Jahren eine byzantinische Kirche freigelegt, an der nun ein kleiner Opferschrein steht. Auch in anderen Fällen scheinen die Kirchen schon lange verfallen und eine Kultkontinuität über die Zeiten hinweg ist oft auch fraglich.

Svinjarica. Am Nordrand des Dorfes befindet sich eine in den 1930er Jahren von den Dorfbewohnern freigelegte byzantinische Basilika, an der ein kleiner Schrein errichtet wurde.
(Foto: R. Schreg/RGZM 2014)


Radinovac, kleiner Schrein in den Ruinen einer Basilika. Im Hintergrund ist die Apsis zu erkennen.
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

Tatsächlich haben viele Kirchen dringenden Renovierungsbedarf. So ist in den vergangenen Jahren das Dach der kleinen Kirche von Vrbovac eingestürzt, so dass nun die Mauern offen der Witterung ausgesetzt sind. Nur notdürftig wurden die Mauerkronen mit den Ziegeln des Daches abgedeckt. Die Nutzung und damit auch die Pflege der Kirche ist nun eingeschränkt und nur selten wird der Bau nun noch von der wuchernden Vegetation freigeschnitten. Der erste Besuch 2014 ist daran gescheitert, dass wir uns durch das dichte Gestrüpp keinen Weg bahnen konnten.

Vrbovac
2014 im Gestrüpp unzugänglich
(Foto: R. Schreg/ RGZM)


Vrbovac, 2015
Vor der Südwestecke liegen antike Architekturteile
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

Vrbovac, 2015
Blick ins Innere der Kirche
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

Vrbovac, 2007 noch mit dem baufälligen Dach
(Foto: Archäologisches Institut Belgrad)


Eine weitere Gefahr für die ländlichen Kirchen sind die zahlreichen Raubgrabungen. Sondengänger haben sich in den Kopf gesetzt, dass hier Schätze zu finden sind und wühlen das umliegende Gelände in vielen Fällen komplett um. In der kleinen Kirche in der befestigten Siedlung von Bregovina, haben Raubgräber den mit Backsteinen gefliesten antiken Kirchenboden komplett unterhöhlt, so dass der Boden am Stück abgesackt ist (s. Archaeologik).

Bregovina. Von Raubgräbern zerstörter Kirchenboden.
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)


Die Region Jablanica in Südserbien gehört heute zu den ärmsten Gebieten Serbiens. Viele der Dörfer sind von Landflucht betroffen und in vielen einst großen Dörfern wohnen nur noch wenige Alte. Häuser und Bauernhöfe sind dem Zerfall preisgegeben, ehemalige Äcker sind mit jungen Birken bestanden. So bleiben oft nicht genügend Gläubige zurück, die die Kirchen instand halten können. Bisweilen spenden jedoch Auswanderer das Geld in ihre Heimatgemeinde.

aufgegebene Felder
(Foto: R. Schreg/RGZM 2016)

Weitere gefährdete Kirchen

Prinzipiell ist das neu erwachte Interesse an den Kirchen also zu begrüßen, denn viele der Kirchen sind von fortschreitendem Zerfall bedroht. Die Kirche von Gazdare ist aber nicht der einzige Fall, in der solche Investitionen das Gegenteil bewirken und nicht zum Erhalt, sondern im Gegenteil zur völligen Zerstörung der alten Bausubstanz führen.
Die Renovierung der ländlichen Kirchen erfolgt ohne ausreichende Erforschung und Dokumentation. Gazdare war mit den Grabungen von 1980 und 2002 eigentlich die Kirche, bei der die historische Bedeutung am besten dokumentiert war. Bei der großen Mehrzahl der Kirchen haben wir so gut wie gar keine Informationen zur Baugeschichte.

Lalinovac,
der geflieste Sockel bedeckt vermutlich ältere Fundamentreste
(Foto: privat, 2017)
In dem kleinen Ort Lalinovac hat man bereits 2016 ein entsprechendes Projekt durchgezogen. Auf den Ruinen einer älteren Kirche wurde mit Materialien aus dem Baumarkt ein Neubau errichtet. Die alten Fundamente hat man teilweise sogar erhalten und als Sockel mit rotbraunen Badfliesen aus dem Baumarkt im Stil einer öffentlichen Toilette verkleidet. Eine Dokumentation des Baus, der in den 1950er Jahre als mittelalterliche Kirche in der wissenschaftlichen Literatur aufgeführt wurde, hat leider nicht stattgefunden.


Stilac, Sv. Ilija mit neu gestalteter Fassade
(Foto: R. Schreg/RGZM 2017)
Die kleine Kirche von Sv. Ilija bei Stulac, genau gegenüber der frühbyzantinischen Stadt Caričin Grad, an der Stelle einer durch geophysikalische Prospektion entdeckten Basilika wurde 2017 Opfer einer Verschönerungsaktion. Die örtliche Gemeinde hat aus Eigeninitiative und ohne Fachberatung Restaurierungen begonnen. Erst vor wenigen Jahren war die Kirche neu verputzt und gekalkt worden. Um aber eine modern anmutende glatte Wandoberfläche zu erhalten, wurde die Westfassade mit Styroporplatten verkleidet, was im übrigen in kurzer Zeit zu verstärktem Algenbefall der Wände im Kircheninneren geführt hat. Dabei verschwand die Bauinschrift von 1890 und zunächst auch ein als Spolie vermauertes Kapitell hinter dem Styropor. Glücklicherweise hatten wir 2015 die Kirche und mittels Drohne auch das umliegende Gelände genau in einem 3D-Modell dokumentiert, als das umliegende, von einer Befestigung umfasste Gelände mit Hilfe der Wiener Kollegen des LBI ArchPro geophysikalisch prospektiert wurde. Dabei zeigte sich, dass die in der Literatur bisher vertretene (und im Widerspruch zur Bauinschrift stehende) Datierung in byzantinische Zeit nur bedingt richtig ist, da sich in dem Gelände die Reste einer großen Basilika nachweisen ließen. Nachdem die serbischen Kollegen das zuständige Denkmalinstitut informiert haben, wurden die Arbeiten gestoppt.


In verschiedenen Gesprächen, die unsere serbischen Kollegen mit Nachbarn und Lokalpolitikern führen konnten, wurde deutlich, dass mit weiteren Renovierungen und Neubauten zu rechnen ist. Es ist hier ein sozialer Wettbewerb zwischen den Nachbardörfern in Gang gekommen. Konkret wissen wir von mindestens zwei weiteren Plätzen, an denen es Neubaupläne zu Lasten historischer Monumente gibt.
Lece, eingetiefte Kirche, gefährdet durch Planungen für einen Kirchenneubau
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)
Zum einen geht es um eine kleine, wiederum eingegrabene Kirche im Ortsbereich der Bergbaustadt Lece. Auch hier sind zahlreiche antike und mittelalterliche Spolien verbaut, im Mauerwerk finden sich zahlreiche Reste von Schmelztiegeln. Nicht weit entfernt befinden sich die Reste antiker und mittelalterlicher Bergwerke, die wir 2016 und 2017 dokumentieren konnten (siehe Archaeologik).

Tiegel von der Kirche in der Bergbaustadt Lece
(Verbleib: Fundstelle)
(Foto: R. Schreg/ RGZM, 2016)
Pusto Šilovo
(Foto: Archäologisches Institut Belgrad, 2008
Zum anderen geht es - nicht weit entfernt - um die Reste einer Kirche bei Pusto Šilovo. Diese Stelle liegt heute abseits modernern Siedlungen im Wald, ist aber ein beliebtes Ausflugsziel. Irgendwann einmal wurden die Kirchenfundamente freigelegt. Von hier liegen römische Altarreste vor und auch die Kirchenfundamente wurden in byzantinische Zeit gestellt. Nähere Untersuchungen fehlen. 

An beiden Stellen soll nach der Vorstellung der Gemeinde mit Sponsorengeldern ein Neubau errichtet werden. Problematisch ist, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass fachliche Überlegungen in dem Entscheidungsprozess überhaupt berücksichtigt werden.

Siedlungsgeschichtliche Quellen ersten Ranges

Diese Kirchen sind die einzigen erkennbaren Reste älterer Siedlungsstrukturen. Ein Blick beispielsweise in die Ortsgeschichte des Dorfes Prekopčelica zeigt, wie sehr sich die Siedlungslandschaft in der Neuzeit verändert hat. Der Ort entwickelte sich in osmanischer Zeit zu einem stattlichen Dorf, das möglicherweise sogar größer war als die frühbyzantinische Stadt Caričin Grad. Erst mit der Industrialisierung verlagerte sich der Mittelpunkt der Region in das benachbarte Lebane. Mittelalterliche Quellen bezeugen die Ortschaft Caričina, die heute nur aus wenigen Häusern besteht.
Archäologische Surveys im Umfeld von Caričin Grad erbrachten einige Hinweise auf eine neuzeitliche Umstrukturierung der Landschaft und angesichts der zahlreichen Bevölkerungsverschiebungen auf dem Balkan ist es kaum möglich, mit einem rückschreibenden Ansatz aus den heutigen Verhältnissen auf ältere Siedlungsmuster zu schließen.
Die Überreste der Kirchen sind daher wichtige Anhaltspunkte für die Rekonstruktion früherer Siedlungsverhältnisse. 

Über 100 Kirchen

Radinovac, römische Thermen.
Die Ruinen werden von der Bevölkerung wohl als Reste einer
Kirche interpretiert, was Kerzen und Geldopfer
auf den Mauerabsätzen nahe legen.
(Foto: R. Schreg/RGZM 2015)
Aus der serbischen Literatur sind für das westliche Leskovac-Becken etwa 100 Kirchenstandorte dokumentiert, die meisten davon sind nur noch Ruinen. Der lokalen Bevölkerung sind die Standorte zumeist bekannt, wie Opfergaben, Kerzen und Ikonen auf den Altären und in den Apsiden erkennen lassen. Genaue historische Kenntnisse sind aber meist nicht vorhanden. So kommt es auch vor, dass auch die noch aufrecht stehende Apsis einer römischen Thermenanlage als Kirche missverstanden wurde und sich heute als Gedenk- und Opferplatz präsentiert. Hier zeigt sich ebenso wie in der mündlichen Tradition zur Kirche in Gazdare das Fehlen eines historischen Bewusstseins.

Viele der Kirchenstandorte liegen heute weit abseits der Dörfer und lassen vermuten, dass sie früher nicht so abgelegen waren. Es lassen sich verschiedene topographische Situationen erkennen: Manche liegen inmitten des Wirtschaftslandes oder aber in Höhenlage, oft in Verbindung mit spätantiken Höhensiedlungen.

Sekizol: Kirche in einer spätantiken/ frühmittelalterlichen Befestigung
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2015)

An einigen Plätzen, wie etwa in Gazdare Sv. Pentelejmon und Gazdare Sv. Arhandjeli lässt sich jedoch ein Friedhof nachweisen.  Bisher können wir nicht zwischen unterschiedlichen Kirchen - Klöstern, Einsiedeleien oder Gemeindekirchen - unterscheiden, wie sich dies bei unseren Surveys im Bergland der Krim angedeutet hatte. Teilweise scheint von der Topographie her ein Zusammenhang mit dem Bergbau gegeben zu sein.

Gazdare, Sv. Arhandjeli
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)
Die bereits genannte Kirche Gazdare Sv. Arhandjeli liegt an der Stelle eines kleinen Tales, wo sich dieses verengt und beiderseits von altem Bergbau begleitet wird. Unmittelbar neben der Kirche wurde bei unseren Surveys eine Schlackenfundstelle registriert, zudem zeigen sich einige anthropogene Geländeformationen ungeklärter Bedeutung.

Der Erhaltungszustand der meisten Kirchen ist schlecht, oft sind sie zugewuchert. Wandmalereien, für die die serbische Sakralarchitektur berühmt ist, sind allenfalls in allerkleinsten Fragmenten erhalten. Beispielhaft seien hier einige Bilder der Kirche von Mrveš gezeigt.

Mrveš, Kirche
(Foto: R. Schreg/ RGZM)

Mrveš, Kirche
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)

Mrveš, Kirche
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)

Mrveš, Kirche: Reste von Wandmalereien an der Nordwand
(Foto: R. Schreg/ RGZM 2016)


Islamische Gemeinden

Moschee in Leskovac
(Felix Kanitz 1889)
Gut fünf Jahrhunderte stand das  Arbeitsgebiet unter osmanischer Herrschaft, in der zahlreiche islamische Gemeinden und Moscheen entstanden. Möchte man die Kirchenreste als Indikatoren der Siedlungsgeschichte werten, müssen in Folge dessen zwingend auch die Moscheen in die Überlegungen einbezogen werden.

Sie sind nach dem Ende der osmanischen Herrschaft und der nachfolgenden Bevölkerungsverschiebungen im 19. Jahrhundert heute aus der Landschaft und weitgehend auch aus dem Bewusstsein verschwunden. Historische Quellen und Karten, bisweilen aber auch - kritisch zu bewertende - mündliche Traditionen helfen, hier einen Überblick zu gewinnen. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass manche der Kirchen zeitweise auch als Moschee genutzt wurden.

Die Region in Südserbien steht exemplarisch für eine Erforschung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Siedlungsgeschichte und der zahlreichen ländlichen Kirchen, die bisher kaum die Beachtung der archäologischen Forschung gefunden haben.

Handlungsbedarf

Diese Beobachtungen, die wir im Laufe unserer Surveys in der Region um Caričin Grad machen konnten, waren für uns ein Alarmsignal. Unser wissenschaftliches Interesse galt der Besiedlungsgeschichte der Region und Versuche, ländliche Siedlungen über Surveys zu erfassen blieben weitgehend erfolglos. Einziger Hinweis auf die mittelalterliche Besiedlung blieben die Kirchen, die in der wissenschaftlichen Literatur wiederholt angesprochen, aber kaum genauer bearbeitet und dokumentiert wurden. Da diesen Kirchenbauten ein besonderer kunsthistorischer Wert oft abgesprochen wird, sind sie völlig aus dem Blickfeld der Denkmalpflege wie auch der Forschung geraten. Nun werden diese Quellen vielerorts vor unseren Augen zerstört - aus Unwissen um ihren Wert und den richtigen Umgang.

So entstand die Idee, in einem neuen Projekt genau dies zu tun: Die Kirchen systematisch zu erfassen, zu dokumentieren und landschaftsarchäologisch auszuwerten und so auf eine größere Aufmerksamkeit bei Kollegen und Bewohnern hinzuwirken. Testweise haben wir daher im Rahmen des RGZM-Projektes einzelne Kirchen fotografisch so dokumentiert, dass daraus mittels sfm ("Structure from motion") digitale 3D-Modelle abgeleitet werden können. Dies scheint für viele der Kirchen und Kirchenruinen ein praktikabler Weg einer raschen Dokumentation, die allerdings ergänzt werden muss, einerseits durch eine Aufnahme der umliegenden Topographie (mittels LiDAR und Dronenbefliegung sowie archäologische Surveys und Prospektionen) und durch eine möglichst genaue Beschreibung des Bestandes. In Gazdare kamen wir damit leider zu spät, da wir immer gehofft hatten, dass der Abriss abgewendet werden kann.

Inzwischen ist ein Projektantrag ausgearbeitet, der neben der archäologischen Prospektion und der Dokumentation der Geländedenkmäler auch Bauforscher und Experten der islamsichen Archäologie einbindet. Das Projekt wird, sofern eine Finanzierung bewilligt wird, als Kooperationsprojekt zwischen deutschen  (Universität Bamberg und RGZM/Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident) und serbischen Partnern durchgeführt. Gegebenenfalls werden sich auch tschechische Kollegen beteiligen. Das primäre Ziel ist eine landschaftsarchäologische Dokumentation und Auswertung der Kirchen, aber auch, vor Ort ein Bewusstsein für die historische Bedeutung der Kirchenreste zu schaffen und so dazu beizutragen, dass künftige Renovierungen denkmalverträglich durchgeführt werden. Die Arbeiten vor Ort wird daher ein serbischer Kollege übernehmen, denn der persönliche Kontakt mit der Bevölkerung ist hier außerordentlich wichtig. Um die Bedeutung der Ruinen zu veranschaulichen, werden einzelne Kirchen als digitale 3D-Modelle visualisiert werden.


Literaturhinweise

  • S. Ercegović-Pavlović, D. Kostić, Arheološki spomenici i nalazišta leskovačkog kraja, (Beograd, Leskovac 1988)
  • S. Stamenkovič, Rimsk Nasleđe u Leskovačkoj Kotlini. Roman Legacy in the Leskovac Valley. Arheološki Institut Posebna Izdanja 53 (Beograd 2013). 


Links

Dank

Ich danke den serbischen Kollegen für zahlreiche Auskünfte, Übersetzungshilfen und Übersetzungshilfen. Die Einschätzungen der denkmalpflegerischen Situation sind darauf aufbauend freilich meine eigenen.

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