Montag, 3. Oktober 2016

Die Ausradierung Aleppos (Kulturgut in Syrien und Irak, September 2016)

Die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand in Syrien haben sich zerschlagen, die Bombardierungen in Aleppo sind intensiver denn je. Es ist anzunehmen, dass die syrische Regierung sich einen Dreck um die bisher überlebenden Bewohner schert - im Gegenteil, sie werden allesamt als Terroristen diffamiert. Alle Krankenhäuser im Rebellengebiet Aleppos sind zerstört.
Angesichts dieser Schrecken scheint es auf den ersten Blick zynisch, sich um die Altertümer und Kulturgüter Syriens zu sorgen. Doch ist das auch ein Teil der Hoffnung, die man nicht verlieren darf. Ohne einen Orientierungspunkt in der Vergangenheit, wird es nicht möglich sein, zu einem Frieden und einer Neuformierung der syrischen Gesellschaft zu gelangen.
Darum auch diesen Monat der übliche Rückblick auf die Entwicklung der Situation archäologischer Kulturgüter in Syrien und Irak, wie sie sich in Medienberichten spiegelt.

Vorweg stelle ich aber ein Video der Syria Campaign ein, um den Alltag und die Menschen in Aleppo ins Bild und ins Bewusstein zu bringen.



Eine detaillierte Zusammenstellung der Kriegsereignisse in Syrien mit Quellenangaben bietet die Seite http://syria.liveuamap.com/en

Schadensmeldungen

Verständlicherweise gilt bei den neuen Bombenangriffen das Interesse der Meldungen, die aus der belagerten Stadt nach außen dringen, erst einmal den Menschen und nicht den Denkmälern. Vieles war auch zuvor bereits zerstört. 
 
BBC zeigt Bilder aus dem zerstörten Bazar in Aleppo
Die Zerstörung von Aleppo als "Urbizid"
Bilder der Zitadelle von Aleppo, die  derzeit im Stadtgebiet einen Vorposten des syrischen Regime im umliegenden, noch von Rebellen gehaltenen Gebiet darstellt:


Heritage for Peace Damage Newsletter für Syien:
Berichte der DGAM
      Bericht über eine Inspektionsreise im Irak

       Antikenhandel

      Verkäufe des Daesh und eine Verschärfung der Gesetze in Israel
      Der Irak benötigt nach Aussagen seines Außenministers weiterhin internationale Unterstützung im Kampf gegen Raubgrabungen und Antikenhehlerei, da ein effektiver Schutz der zahlreichen archäologischen Fundstellen vor Ort nicht zu bewerkstelligen ist.
      Ein Bericht in Live Science bringt neue Zahlen zum Umfang des Antikenhandels, erhoben anhand des Imports von Goldmünzen in den Unterlagen des US-Census Bureaus seit 2003. Leider sind die Zahlen nicht besonders übersichtlich präsentiert.
      Es zeigen sich deutlich steigende Importe von Antiken aus der Türkei und Ägypten in die USA nicht zuletzt seit dem arabischen Frühling 2011. Seit 2003 betrug der Zollwert der aus der Türkei in den USA importierten Antiken 283 Mio $. Das sind wohlgemerkt Importe allein aus der Türkei, die für Antiken aus dem Land eigentlich strenge Ausfuhrbestimmungen hat, hinzu kommen Importe aus anderen Staaten. Auch geht es bei den angegebenen Werten um die Zoll-, nicht um die tatsächlich erzielten Marktwerte.

      US-Importe kg Goldmünzen
      aus der Türkei
      pro Jahr
      1989-2002 1,1 0,08
      2003-2010 26 3,25
      2011-Juli 2016 51 9,27

      Die Zahlen - auf den ersten Blick zu niedrig, um den Krieg des Daesh zu finanzieren - sagen nichts über die These "Antikenhandel finanziert Terror" aus. Erstens handelt es sich um Zollwerte, nicht um Markterlöse, zweitens kann nicht abgeschätzt werden, was am Zoll vorbei geht und geschmuggelt oder anders deklariert wird, drittens ist anzunehmen, dass die Mehrzahl der Objekte erst mal in Zolllager geht. Die sollen in den letzten Jahren in den arabischen Staaten boomen. In dem Fall hätte Daesh sein Geld bereits bekommen, von der Hoffnung der Händler kreditiert, das Zeug Jahre später mit geeigneten Provenienzen (für Deutschland nach dem neuen Kulturgutschutzgesetz z.B. vor 2007 aus Syrien exportiert, seitdem in alter Sammlung) dann auch bei Sammlern im Westen und anderswo absetzen zu können. Schaut man sich die Zeiträume an, die es braucht, bis einmal sichergestellte Objekte nach einer Rückgabe wieder auf dem Markt auftauchen (vergl. Dubioses bei Christies), muss man da durchaus mit 10 Jahren Verzögerung rechnen, in denen die Funde in irgendwelchen Zollagern warten. Insofern widerlegen die Zahlen, die auf Daesh-Dokumenten basierte These "Antikenhandel finanziert Terror" eben auch nicht. Die Zahlen zeigen mit ihrer Steigerung vor allem, dass bisherige Maßnahmen wirkungslos sind.
      Desweiteren gibt es Hinweise auf direkte Schiffsladungen, wie beispielsweise 2013 aus dem Irak nach Puerto Rico mit einer Fracht von Antiken im Wert von 3,5 Mio$.  

      Ein Beitrag auf TruthDig wiederholt ältere Schätzungen nach "US National Security officials" über die Gewinne von Daesh, angeblich etwa 150-200 Mio $ pro Jahr. 

      steigende Zahl von Fälschungen auf dem Markt:
       

      Maßnahmen


      Schulungsprogramm
      Evakuierung - hier keine Archäologie, aber auch eine Problematik der Kulturguterhaltung: die Sicherung einer Samenbank aus Aleppo

      Kulturarbeit in Berlin

      Führungen für Flüchtlinge aus Syrien und Irak in Berlin:
      Eine Kulturveranstaltung musste indes nach Drohungen abgesagt werden:

               Restaurierungsarbeiten

              In dem Regime-kontrollierten Homs haben mit Unterstützung der UN - parallel zu den nach dem gescheiterten Waffenstillstand noch verstärkten Bombardierungen in Aleppo -  Aufräum- und Wiederaufbaumaßnahmen begonnen.
              Russisches Engagement bei der Schadenserhebung und Restaurierung:
              Eine russische Expedition - entstandt vom russischen Verteidigungsministerium -  wird im Spätjahr 2016 vor allem die Toten Städte im Nordwesten Syriens inspizieren; konkret genannt werden Jebel Seman 1-3. Laut Bericht sind von den 8 als archäologische Parks konziperten Stätten vier unter dern Kontrolle der al-Nusra-Front und deren Verbündeten, drei stehen unter kurdischer Kontrolle und Sankt Simeon Stylites ist zwischen "Rojava Kurds" und Islamisten umkämpft.

              Öffentlichkeitsarbeit im Irak: TV-Spot unter Beteiligung der UNESCO

              Tagungen 

              Berichte
              Ankündigungen:

              Verfolgung von Kulturgutzerstörung als Kriegsverbrechen:

              Reaktionen auf das Den-Haager-Urteil zu den Kulturgutzerstörungen in Mali als Kriegsverbrechen (siehe Der Präzendenzfall: Kulturgutzerstörung ist Kriegsverbrechen. Archaeologik [1.10.2016]):

              ILLICID

              3D-Modelle und Digitalisate

              Digitale Kopien gehen natürlich nicht an den Kern des Problems der Kulturgutzerstörung und Raubgräberei und können Originalbefunde auch in keiner Weise ersetzen. Sie eignen sich für Symbolpolitik und Proteste gegen Daesh - und für eine Wissenschaftsdidaktik, aber nur für eine reduzierte Zahl wissenschaftlicher Fragestellungen. 
              Mit der Errichtung des Triumphbogens aus Palmyra in New York werden ethische Fragen der 3D-Modelle diskutiert.
              Der Artikel von Sara Bond thematisiert daher auch die ethischen Aspekte der 3D-Rekonstruktionen. Sie diskutiert vor allem den Aspekt des “digital colonialism”und verweist hier auch auf die nicht selten restriktiv gehandhabten Urheberrechtsansprüche, die mit solchen 3D-Modellen verknüpft sind. Um eine Aussage zu bieten, benötigen auch 3D-Modelle ergänzende Informationen, was bei der Neuerrichtung des Triumphbogens aus Palmyra in New York offenbar fehlt.
              Baaltempel in Palmyra
              (Foto: M. Scholz 1993)
              Wenn schon eine Diskussion um die ethische Dimension von 3D-Rekonstruktionen geführt wird, so sollte man im Kontext der Situation rund um Daesh viel eher fragen, ob solche Aktionen und Digitalisierungen nicht eher von einer grundegenden Lösung der Zerstörungsproblematik ablenkt: Effektives Handeln gegenüber Raubgräbern und Antikenhändlern einerseits und Gerechtigkeit und gesichete Existenz für die Menschen in den betroffenen Regionen andererseits.
                Urlaubsbilder gefährdeter Kulturdenkmale aus Syrien und Lybien gesucht:

                Digitalisierung der Museumsbestände von Deir-ez-Zor:

                Allgemeine Berichte

                H. Eakin: Ancient Syrian Sites: A Different Story of Destruction. The New York Review of Books (Issue 29.9.2016). - http://www.nybooks.com/articles/2016/09/29/ancient-syrian-sites-palmyra-destruction/  bespricht mehrere Publikationen und kritisiert das Narrativ, wonach die Zerstörung Palmyras mit Daesh begonnen habe. Tatsächlich haben viele Medien schon zuvor auf Zerstörungen durch Rebellen und Regierungstruppen hingewiesen - vergl. auf Archaeologik schon in einem der ersten Blogposts zu Syrien: Feuer auf Apameia. Archaeologik (3.6.2012). - http://archaeologik.blogspot.de/2012/06/feuer-auf-apameia.html. Prinzipiell hat  Hugh Eakin aber recht: Die Zerstörungen wurden sehr einseitig wahrgenommen, wenn sie mit Daesh in Verbindung zu bringen waren, während die übrigen Zerstörungen der anderen Kriegsparteien, die weniger von propagandistischem Getöse begleitet wurden, kaum Beachtung gefunden haben - wie z.B. die Raubgrabungen in Apameia, die unterm Strich vielleicht mehr Schaden angereichtet haben als Daesh in Palmyra.
                Die Beobachtung, dass bislang kaum Antiken im westlichen Handel aufgetaucht sind (die durch den LiveScience-Artikel nun etwas relativiert wird), kann jedoch nicht als Beleg gewertet werden, dass die Plünderungen nur halb so schlimm seien und der Westen daran nicht beteiligt gewesen sei. Nach den Strukturen des Marktes werden die Objekte erst in den kommenden Jahren aus ihren Lagern heraus auf den Markt sickern, wenn unschuldige Provenienzen konstruiert sind.
                  • CultureUnderThreat: Recommendations for the US Governmen. #CUT Task Force Report, April 2016
                  • R. Bevan, The Destruction of Memory. Architecture at War 2(2016)
                  • P. Veyne, Palmyre. L'irremplaçable trésor (Paris 2015)
                Ein Bericht des russischen Sputnik vergleicht die Zerstörungen des Daesh mit den Zerstörungen im Kosovo.
                Ungeachtet, der im jugoslawischen Bürgerkrieg tatsächlich angerichteten Zerstörungen, ist hier auf die aktuelle Instrumentalisierung zu verweisen, um eine Integration des Kosovo in internationale Institutionen zu verhindern. - vergl. Serbischer Staatspräsident Nikolić wirft dem Kosovo Vernachlässigung serbisch-byzantinischen Kulturerbes vor. Archaeologik (23.8.2016)

                Links

                frühere Meldungen zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

                Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.

                Keine Kommentare: