Donnerstag, 6. Juni 2013

Ein Teenager kratzt an der Tempelwand


ein Gastbeitrag von
Jutta Zerres 


Vor einiger Zeit besuchte eine chinesische Touristenfamilie wie Millionen Ägyptenreisende jährlich den Luxor-Tempel. Der 14-jährige Sprößling ritzte in einem unbeobachteten Moment „Ding Jinhao war hier“ auf eine der reliefgeschmückten Wände und zwar quer über Brust, Bauch und Lendenschurz Alexanders des Großen. Der Teenager bekam mächtig Ärger, aber nicht stehenden Fußes, sondern erst mit einiger Zeitverzögerung. Anfang Mai 2013 fiel das Graffito nämlich einer anderen Touristengruppe aus dem Reich der Mitte auf. Einer der Reisenden schoss konsterniert über die Untat des Landsmannes ein Foto und postete es in einem sozialen Netzwerk. Dieses wiederum löste in China einen Sturm der Empörung und eine Debatte über das Verhalten von Chinesen im Ausland aus, die selbst die Regierung erreichte. Die Familie und der Übeltäter wurden im Internet ausfindig gemacht und erheblich angegriffen; die Eltern baten öffentlich um Entschuldigung für den Imageschaden, den das Land erlitten habe.

Angesichts tausender Raubgrabungslöcher und anderer massiver Zerstörungen an Kulturstätten, die nach der Revolution landauf-landab entstanden sind, erscheint dieser „Dummer-Jungen-Streich“ geradezu marginal. Die Geschichte wurde jedoch vielfach in der internationalen Presse und in Blogs aufgegriffen. Hier nur einige Beispiele:
Das chinesische Graffito wurde inzwischen entfernt.
Dan Murphy geht in einem Artikel in „The Christian Science Monitor“ umfassender auf die Geschichte ein.
Dieses Vorkommnis verweise nämlich auf ein viel größeres Dilemma, das der Jugendliche unbeabsichtigt „freigekratzt“ habe. Das wahre Problem der ägyptischen Altertümer sind nämlich weniger die Schmierereien von Touristen, sondern vielmehr das Desinteresse und die mangelnde Fürsorge der staatlichen Behörden. Wie ist es sonst zu erklären, dass es überhaupt zu einem solchen Vorfall kommen konnte bzw. das Graffito lange Zeit unentdeckt blieb und erst von einem anderen Touristen entdeckt wurde?
Der Shitstorm, den das Ereignis ausgelöst hat, wäre also besser an die ägyptischen Behörden adressiert worden und weniger an den unbedarften Jugendlichen und seine Eltern.

Graffito mit der Darstellung des Sarapammon-Hermes
aus römischer Zeit an der Umfassungsmauer
des Deir el-Haggar-Tempels in der Oase Dachla
(Foto: Roland Unger [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Der junge Chinese befindet sich übrigens in bester Gesellschaft mit anderen „Schmierfinken“, die in den letzten Jahrtausenden immer wieder an Ägyptens antiken Monumenten ihre Namen und andere Botschaften hinterließen. Die Bandbreite reicht von den Pharaonen selber, die die Namen missliebiger Vorgänger wegmeißeln ließen, über die Römer und die frühen Christen bis hin zu den Reisenden des 19. Jahrhunderts. Solche Graffiti sind nämlich, wenn sie erstmal ein gewisses Alter erreicht haben, wieder von Interesse und werden selber zum Gegenstand der Forschung.
Graffito eines Reisenden des 19. Jahrhunderts und andere Graffiti im Chnum-Tempel von Esna
(Foto: Olaf Tausch [CC BY 3.0] via Wikimedia Commons)

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